Liebe Leser, vor zwei Wochen war ich in »König der Löwen« – zum dritten Mal. Dabei würde ich mich gar nicht als Musical-Fan bezeichnen, ich bin da immer so reingerutscht.
Bei uns auf dem Land waren Musicals die Ausflüge, die man mit Kindern und Jugendlichen immer wieder unternahm. Mit dem Orchester, mit dem Ferienprogramm, mit der Schule. Bis zu meinem 16. Geburtstag hatte ich bereits »Starlight Express«, »Cats«, »Tabaluga«, »König der Löwen« und »West Side Story« gesehen.
Als 12-Jährige war ich in »Jekyll und Hyde«. Keine Ahnung, warum das erlaubt war! Auf der Bühne wurde gemordet, vergewaltigt, verrückt geworden, was ja schon schlimm genug wäre, aber dass in den Momenten von Agonie und Wahnsinn natürlich auch noch gesungen wurde, machte es besonders verstörend. Rückblickend war es wohl die Aufführung, die unsere Welt am besten abbildete.
Als man aufhörte, mich in Musicals zu schleppen, fing ich meinerseits an, Musical-Karten zu verschenken. Als frische Arbeitnehmerin gab ich zum Beispiel ein halbes Vermögen aus, um meine Großeltern in »Ich war noch niemals in New York« auszuführen. Mein Opa, der noch niemals in New York war und auch gar nicht hinwill (und das galt wohl auch für Musicals), moserte ununterbrochen. Etwa darüber, dass im Foyer nur hohe Barstühle standen und dass nicht mal ein Wasser inklusive war. (Natürlich hatte er völlig recht.) Als später im Saal das Publikum im Takt klatschte, wie das bei Hits von Udo Jürgens nun mal passiert, saß mein skeptischer Großvater mit verschränkten Armen neben mir. Nach etwa einer Stunde weichte er auf, und das zu sehen war schöner als die meisten Musicals.
Wobei – vielleicht nicht schöner als »König der Löwen«. Dort ein drittes Mal reinzugehen war eine vergleichsweise freiwillige Entscheidung und hat sich gelohnt. Ich war entzückt von den Kostümen der Savannen-Büsche und Dschungel-Gräser, die mir bislang nicht aufgefallen waren, und als
»Er lebt in dir« gesungen wurde – was ja pro Aufführung mehrmals passiert –, war ich sogar ein bisschen ergriffen.
Werde ich nach dieser Erfahrung direkt in den nächsten Saal fallen? Zu »Tanz der Vampire«? Oder nächstes Jahr zum Michael-Jackson-Musical, dass in Hamburg anläuft? Bis zu diesem Wochenende hätte ich das ausgeschlossen. Jetzt ist wirklich Schluss mit dem Gemusical!
Nun bin ich allerdings Samstag nach Berlin gefahren, und da hingen überall Plakate für »Tarifzone Liebe – die Gefühle fahren Straßenbahn«, ein Musical der Berliner Verkehrsbetriebe. Kein Scherz. Es handelt von der BVG-Tram Tramara, die es schwer hat, in der hektischen Hauptstadt ihren Platz zu finden, und wird am 4. und 5. Dezember im Admiralspalast aufgeführt. Regie und Performance übernehmen natürlich keine Tram-Fahrer, sondern Bühnenprofis. Ich finde das so schön albern und selbstironisch, dass ich sofort hingehen würde –
leider schon ausverkauft.
Hamburg! HVV! Wer ist hier die Musical-Hauptstadt!? Wir können das auch!
»U-te – Die unterirdische Reise mit der U5«
Oder »U-lf und U-lla – Wenn es quietscht, dann ist es Liebe!«
Uns fällt schon was ein.
Gute Fahrt in die Woche!
Ihre Viola Diem