News des Tages: Karlsruher Haushaltsurteil, Goethe-Institut, Bayer-Aktie, Shakira-Urteil
Die Lage am Abend
Ihr tägliches News-Briefing um 18 Uhr
Montag, 20. November 2023
Wolfgang Höbel
Liebe Leser, guten Abend!
Die drei Fragezeichen heute:
Berliner Geldsorgen – Weshalb könnte das Karlsruher Haushaltsurteil eine Chance zum Kurswechsel für die Bundesregierung sein?
Bayer-Konzern – Warum ist die Aktie des Pharma- und Chemie-Konzerns heute abgestürzt?
Steuerurteil – Wieso muss der kolumbianische Popstar Shakira 7,3 Millionen Euro Strafe an den spanischen Staat bezahlen?
1. Das Karlsruher Haushaltsurteil zwingt die Bundesregierung, viele Vorhaben zu überdenken, SPIEGEL-Kolumnist Nikolaus Blome sieht darin eine Chance zum Kurswechsel
Zentrale des Goethe-Instituts in München
Fabian Sommer / dpa
In Berlin sind gerade sehr viele Menschen damit beschäftigt, über die Kunst zu sparen nachzudenken oder ihr Geschick darin zu beweisen, das noch vorhandene Geld mehr oder weniger richtig auszugeben. Wie man an der falschen Stelle spart, hat, so finde ich, gerade erst die offensichtlich kulturferne deutsche Außenministerin Annalena Baerbock bewiesen, auf deren Geheiß nun mehrere Goethe-Institute unter anderem in Bordeaux und Genua wohl wirklich geschlossen werden.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat heute gesagt, dass für die deutschen Bürgerinnen und Bürger im nächsten Jahr höhere Strom- und Gaspreise kommen könnten, weil das Bundesverfassungsgericht in der vergangenen Woche eine Umwidmung von Krediten in Höhe von 60 Milliarden Euro im Haushalt 2021 für nichtig erklärt hat. Wegen des Karlsruher Haushaltsurteils sieht Habeck die Energiepreisbremse in Gefahr.
Sehr überraschend und in vielen Punkten einleuchtend, fand ich heute, wie der SPIEGEL-Kolumnist Nikolaus Blome auf die Berliner Geldsorgen blickt. Er sieht in dem Karlsruher Urteil eine Chance zum Kurswechsel in der Regierungspolitik und nennt den Richterspruch »ein großartiges Urteil zur Generationengerechtigkeit«. Wirtschaftsminister Habeck warne zwar vor Arbeitsplatzverlusten und unterfinanziertem Klimaschutz, die Wohlfahrtsverbände vor Sozialkahlschlag, tatsächlich müssten aber nach der bisherigen Logik der Regierungspolitik stets die Jungen die Schulden der Alten abbezahlen. Knapp 30 Milliarden werde allein der Bund für Zins und Tilgung von Staatsschulden in diesem Jahr aufwenden.
Es müsse kein Naturgesetz sein, findet Blome, dass der Bund mehr als hundert Milliarden Euro pro Jahr in die Rentenkasse steckt, um die Rente mit 63 zu finanzieren. Das Karlsruher Urteil sollte seiner Meinung nach ein Anlass zum Umdenken sein. »Wann, wenn nicht jetzt, ließe sich in der Sozialpolitik sagen: Die Wichtigen zuerst, und das sind nicht alle.« Dann würden zum Beispiel vor den Ansprüchen der Alten die gesetzlich bestehenden Ansprüche bedürftiger Kinder befriedigt. Blome wünscht sich einen »Neustart« und er hält den Klimaschutz auch unter den von Karlsruhe neu definierten Bedingungen für finanzierbar. Er sollte seiner Meinung nach unter dem Motto »Effizienz first« erfolgen.
2. Der heutige Absturz der Bayer-Aktie hängt mit schlechten Nachrichten unter anderem über die Wirksamkeit eines geplanten Medikaments zusammen
Bayer-Konzern: Größter Kurssturz seit mindestens 32 Jahren
Wolfgang Rattay / REUTERS
Die Chefs des Leverkusener Bayer-Konzern hatten vor ein paar Jahren so viel Geld in ihren Kassen, dass sie den Konzern Monsanto kauften. Das war aus heutiger Sicht ein fragwürdiger Deal. Monsanto ist der Hersteller des umstrittenen Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat. Ein US-Gericht hat die Bayer-Tochter nun zur Zahlung von mehr als 1,5 Milliarden Dollar Schadensersatz an drei Kläger verurteilt, die ihre Krebserkrankung auf die jahrelange Verwendung von Glyphosat zurückführen. Bayer hat zwar angekündigt, das Urteil anzufechten. Trotzdem rutschten die Aktien des Konzerns im deutschen Leitindex Dax heute zeitweise um 19 Prozent nach unten – der größte Kurssturz seit mindestens 32 Jahren.
Neben dem Glyphosat-Urteil belastete auch die Nachricht den Aktienkurs, dass Bayer eine wichtige Studie mit dem Prüfpräparat Asundexian wegen mangelnder Wirksamkeit abgebrochen hat. Asundexian sollte Patienten mit Vorhofflimmern und Schlaganfallrisiko helfen. Für Bayer war der neuartige Gerinnungshemmer ein Hoffnungsträger in seiner Pharmaforschung. Der nun verkündete vorzeitige Abbruch der Studie kommt offenbar überraschend.
»Aus wirtschaftlicher Sicht war heute bemerkenswert, dass zwei Hiobsbotschaften für Bayer zusammenkamen«, sagt mein Kollege Benedikt Müller-Arnold. »Das Urteil in den USA und die Nachricht, dass der Konzern die klinische Studie eines Hoffnungsträger-Medikaments vorzeitig abbrechen musste.« Damit sei die Erwartung zusätzlicher Milliardenumsätze in der Zukunft geplatzt. Beides zusammen führte dazu, dass der Börsenwert heute zeitweise um etwa 7,6 Milliarden Euro schrumpfte.
Die schlechten Nachrichten träfen Bayer inmitten einer Phase der Verunsicherung im Konzern, sagt mein Kollege Benedikt. »Die Preise für Pflanzenschutzmittel mit dem umstrittenen Wirkstoff Glyphosat sind im Keller. Und seit Juni hat Bayer mit Bill Anderson einen neuen Vorstandschef, der den Konzern kräftig umbauen will.« Der US-Amerikaner erwägt, sich entweder vom Geschäft mit rezeptfreien Medizinprodukten – wie zum Beispiel Aspirin – zu trennen oder gar das Geschäft mit Saatgut und Pflanzenschutzmitteln abzuspalten. »Gut fünf Jahre nach der milliardenschweren Übernahme von Monsanto wäre dies die größtmögliche Zäsur in Leverkusen.«
3. Die Sängerin Shakira hat sich der Steuerhinterziehung schuldig bekannt und muss deshalb Millionen an den spanischen Staat zahlen
Persönlicher Auftritt: Shakira verlässt das Gerichtsgebäude in Barcelona
Albert Gea / REUTERS
Um sehr viel Geld ging es heute auch in Barcelona. Dort endete der Steuerbetrugsprozess gegen die Popsängerin Shakira, den ich in der Vergangenheit mit einiger Neugier verfolgt habe, nach einer Vereinbarung mit der Staatsanwaltschaft überraschend schnell. Ein Richter gab heute bekannt, die 46-jährige Kolumbianerin habe sich schuldig bekannt und der Zahlung einer Geldstrafe zugestimmt. Shakira wird zu drei Jahren Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe von 7,3 Millionen Euro verurteilt.
Shakira war persönlich zu dem Gerichtstermin in Barcelona erschienen. Die Staatsanwaltschaft hatte für die Mutter von zwei Söhnen acht Jahre Haft und eine Geldstrafe von 23,8 Millionen Euro gefordert. Die Sängerin hatte immer versichert, sie habe in den fraglichen Jahren ihren Wohnsitz nicht in Spanien, sondern auf den Bahamas gehabt. Sie habe lediglich ihren damaligen Partner und Fußballstar Gerard Piqué, mit dem sie zwei Kinder hat und von dem sie mittlerweile getrennt ist, wiederholt in Barcelona besucht. Erst von 2015 an habe sie ständig in Barcelona gelebt. Zudem habe sie alle Steuern plus Zinsen in Höhe von 17,2 Millionen Euro nachgezahlt.
»Das Besondere an dem Fall war die Hartnäckigkeit der zuständigen Behörden«, sagt mein Kollege Steffen Lüdke. »Jahrelang haben die Beamten Shakiras Leben durchforstet, ihre Posts in den sozialen Netzwerken durchsucht und andere Spuren verfolgt. Alles mit einem Ziel: nachzuweisen, dass Shakira damals, als sie den katalanischen Fußballer Gerard Piqué kennenlernte, in Wahrheit schon mit ihm in Barcelona wohnte – und nicht auf den Bahamas. 117 Zeugen sollten gegen Shakira aussagen, man versteht, warum der Superstar den Prozess dann doch vermeiden wollte.«
Von Piqué habe sich Shakira längst getrennt, er soll sie mit einer anderen Frau betrogen haben. »Was Shakira wiederum nur herausfand, weil die Rivalin aus ihrem Marmeladenglas naschte«, so Steffen. Den Schock verarbeite Shakira seitdem in ihren Songs. »Las mujeres ya no lloran, las mujeres facturan«, singt sie: »Die Frauen weinen nicht mehr, sie scheffeln Geld.« Von ihrem Verdienst muss sie jetzt eine ziemlich große Summe abgeben. Nach ihrer Trennung von Piqué lebt Shakira übrigens nun mit den Söhnen Milan und Sasha in der US-Stadt Miami.
Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in Nahost finden Sie hier:
Überwachungsvideos sollen Geiseln in Schifa-Klinik zeigen: Bewaffnete Männer in Krankenhausfluren, in ihrer Gewalt offenbar Geiseln: Videos aus der Schifa-Klinik in Gaza sollen Israels Behauptung untermauern, dass Hamas-Terroristen Krankenhäuser militärisch nutzen. Sehen Sie hier das Video.
Israel vermutet Hamas-Zentrale unter indonesischem Krankenhaus in Gaza: Im Süden des Gazastreifens laufen die Wasserpumpen wieder. Im Norden spitzt sich die humanitäre Lage zu. Und: Die Hamas meldet zwölf Tote bei einem Angriff auf ein indonesisches Krankenhaus.
Warum Saudi-Arabien in der Gazakrise so schweigsam ist: Als Hüter der bedeutendsten Heiligtümer der Muslime und reicher Ölstaat könnte Saudi-Arabien im Gazakrieg Vermittler sein. Doch Kronprinz Mohammed bin Salman ist in einer unkomfortablen Position (S+).
Gerüchte über Kampfpause zur Geiselfreilassung verdichten sich: Bisher bestreitet Israel jegliche Einigung mit der Hamas zur Übergabe von Geiseln – doch der internationale Druck wächst. Und die Anzeichen für eine Feuerpause scheinen konkreter zu werden.
Was heute sonst noch wichtig ist
Unternehmen leiden so sehr unter Bürokratie wie nie: Wirtschaftsminister Habeck will Bürokratie eigentlich abbauen. Doch die entsprechende Belastung für Unternehmen, Bürger und Behörden ist unter der Ampelregierung laut einem Expertengremium auf ein Rekordhoch gestiegen.
Serie bundesweiter Bombendrohungen – Verdächtige ermittelt: Sie wollten große Polizeieinsätze auslösen und das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung erschüttern: Nach einer Serie von Bombendrohungen sind zwei Verdächtige aus Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen ermittelt worden.
Deutsche Gletscher schrumpfen etwas langsamer: Vier Gletscher gibt es noch in Deutschland, in etwa 15 Jahren werden sie Forschenden zufolge verschwunden sein. Für den Watzmann- und Blaueisgletscher gibt es zumindest vorübergehend gute Nachrichten .
US-Verteidigungsminister Austin sichert Ukraine Unterstützung zu: Lloyd Austin hat versprochen, die Ukraine »heute und in der Zukunft« zu unterstützen. Die Fortsetzung der Hilfen für Kiew ist im US-Kongress umstritten. Der Minister setzte mit dem unangekündigten Besuch nun ein Zeichen.
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
»Ich wollte mit einem Knall gehen«: Peter Döbler schwamm 45 Kilometer durch die Ostsee und entkam seinen Verfolgern. Für seine Freiheit riskierte er 1971 alles. Jetzt ist das Tonband aufgetaucht, auf dem er die Flucht ankündigte und mit der DDR abrechnete (S+).
Vertrauensland ist abgebrannt: Sie geht grollend, ist mit sich aber im Reinen: Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus zieht sich aus allen Ämtern zurück. Damit handelt sie konsequent – befeuert aber die massive Glaubens- und Kirchenkrise im Land (S+).
Die dunkelste Stunde des Fußballs: Das Stadion diente als Mordstätte des Pinochet-Regimes, der Gegner blieb aus Protest zu Hause: Vor 50 Jahren trat Chile zu einer der denkwürdigsten Partien der Fußballgeschichte an – mit Zustimmung der Fifa (S+).
Der Tod der rosafarbenen Delfine: Eine Jahrhundertdürre sucht weite Teile des Amazonasgebiets heim. Forscher rätseln, ob der »Tipping Point« erreicht ist, an dem der Regenwald nicht mehr zu retten ist. Die Folgen für das Weltklima wären dramatisch (S+).
Was heute weniger wichtig ist
Martina Voss-Tecklenburg war bis November 2023 Bundestrainerin der Nationalmannschaft der Frauen
CHRISTOF STACHE / AFP
Coach im Formtief - Martina Voss-Tecklenburg, 55, bis November dieses Jahres Bundestrainerin der Fußballerinnen-Nationalmannschaft, hat in einem Interview über ihr Leiden an Panikattacken, Schlaflosigkeit und innerer Leere gesprochen. Nach dem frühen WM-Aus der deutschen Fußballerinnen sei sie »nur am Weinen« gewesen und habe sich gefühlt, »als hätte man mir den Stecker gezogen«. Sie räumte Fehler in der Kommunikation ein, dadurch hätten die Spielerinnen kaum etwas über ihre Situation gewusst: »Die Verantwortung liegt natürlich bei mir. Es wäre besser gewesen, zumindest bestimmte Leute zu informieren.«
Darstellerin Rachel Zegler als Lucy Gray und Kollege Tom Blyth als Coriolanus Snow
Murray Close/Lionsgate / Leonine
Könnten Sie sich den neuen Kinofilm »Die Tribute von Panem: The Ballad of Songbirds and Snakes« ansehen (S+) . Er zeigt tolle, großteils sehr junge Schauspielerinnen und Schauspieler, erzählt auf überraschend intelligente Weise die Vorgeschichte der bisherigen Episoden der »Tribute von Panem«-Reihe – und ist mit zwei Stunden und 38 Minuten entschieden zu lang. Ich habe mir den Film angesehen und empfehle den Zuschauerinnen und Zuschauern ausnahmsweise, den Kinosaal nach dem zweiten Kapitel und auch schon mehr als zwei Stunden vorzeitig zu verlassen: weil der dann folgende Nachklapp fast schmerzhaft wirr und langweilig ist.
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