Krieg schadet Israels Wirtschaft, Skandal in Evangelischer Kirche, Berlin umgarnt Afrika
Die Lage am Morgen
Ihr Morning-Briefing um 6 Uhr
Montag, 20. November 2023
Martin Knobbe
Liebe Leser, guten Morgen!
Heute geht es um den wirtschaftlichen Schaden, den Israel durch den Krieg gegen die Hamas erleidet, um einen Missbrauchsfall und eine wackelnde EKD-Ratsvorsitzende – und um Berlins neue Liebe zu Afrika. Das ist die Lage am Montag.
25 Mitarbeiter, 291 Patienten, 32 Babys
Dass der Krieg keine Sieger kenne, sondern nur Verlierer, ist eine wohlgepflegte Phrase. Wir hören sie gehäuft, seit Russland die Ukraine überfallen hat. Das Problem mit diesem Satz, so richtig er auch sein mag, ist die Erkenntnis, dass es trotzdem weiter Kriege geben wird. Aggressoren provozieren Kriege, weil sie sich davon einen Gewinn erhoffen, wir erleben es ja gerade gehäuft.
Raktenabwehrsystem Iron Dome
Gil Cohen-Magen / AFP
Wie sehr der Satz für den Krieg Israels gegen die Terrororganisation Hamas gilt, beschreibt eindrücklich meine Kollegin Muriel Kalisch. Eineinhalb Monate sind seit den Massakern der Hamas vergangen. Israel erlebte nicht nur eine menschliche Tragödie, sondern leidet nun auch unter einer schwächelnden Wirtschaft.
360.000 Soldaten und Soldatinnen seien für den Krieg mobilisiert worden, schreibt Muriel. »Das sind acht Prozent der Beschäftigten in der Privatwirtschaft.« Weil nun überall die Mitarbeiter fehlen, kostet das die israelische Wirtschaft nach Berechnungen der Bank of Israel wöchentlich rund 570 Millionen Euro – oder rund sechs Prozent der wöchentlichen Wirtschaftsleistung.
Im Gazastreifen ist von einer funktionierenden Wirtschaft schon lange keine Rede mehr, die Probleme sind noch existenzieller. Ein Expertenteam der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat am Samstag das Schifa-Krankenhaus besucht, die Lage dort ist demnach katastrophal. Es gebe kein Wasser, keinen Strom, keine Nahrungsmittel, kaum noch medizinische Ausrüstung. In der Klinik seien noch 25 Mitarbeiter und 291 Patienten, darunter 32 Babys in kritischem Zustand. Die WHO will nun die verbliebenen Menschen möglichst schnell aus der Klinik retten. Zugleich veröffentlichte Israel Videomaterial, wonach verletzte Geiseln der Hamas offenbar gewaltsam ins Schifa-Gefängnis gebracht worden waren.
Sieger sind in diesem Krieg tatsächlich nicht erkennbar.
Es ist ein komplizierter Fall, so viel lässt sich sagen. Ein Mitarbeiter der evangelischen Kirche soll sich in den Achtziger- und Neunzigerjahren mehreren jungen Männern in sexueller Absicht genähert haben. Von einem Lehrer-Schüler-Verhältnis ist kirchenintern die Rede, also von einem Verdacht des Machtmissbrauchs.
EKD-Ratsvorsitzende Kurschus
IMAGO/Rolf Zoellner (Zöllner) / IMAGO/epd
Der Mitarbeiter ist gut bekannt mit Annette Kurschus, der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD). Beide waren im Kirchenkreis Siegen tätig, Kurschus soll vor allem mit der Frau des beschuldigten Mitarbeiters befreundet sein. Zugleich ist Kurschus die Person, die für die Aufklärung dieses Falls hauptverantwortlich ist. Schließlich hatte sie die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen früh zur »Chefinnensache« erklärt.
Nun steht der Vorwurf im Raum, Kurschus habe schon sehr früh von den Verdächtigungen erfahren – und nichts unternommen. Sie selbst bestreitet das, doch in den eigenen Reihen, so beschreibt es meine Kollegin Annette Langer, bröckelt offenbar die Unterstützung.
Heute will sich die Ratsvorsitzende zu der Sache persönlich erklären. Ob am Ende tatsächlich ihr Rücktritt steht, wie ihn zum Beispiel der Sprecher der Interessenvertretung der Missbrauchsopfer in der EKD, Detlev Zander, im SPIEGEL fordert, ist unklar.
Die evangelische Kirche jedenfalls kann bei dem Thema einiges von der katholischen Konkurrenz lernen: Wer nicht glasklar und konsequent aufklärt, verliert massiv Vertrauen. Die katholische Kirche musste diese Lektion in den vergangenen Jahren schmerzhaft lernen. Vom immensen Schaden, den ihr Vertuschen und Verdrängen bis heute verursacht, wird sie sich nie wieder erholen.
Zwischen der Ampel und der Schuldenbremse war das Verhältnis eigentlich geklärt: »Ab 2023 werden wir dann die Verschuldung auf den verfassungsrechtlich von der Schuldenbremse vorgegebenen Spielraum beschränken und die Vorgaben der Schuldenbremse einhalten«, heißt es im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Mit anderen Worten: Nach den Ausnahmejahren der Pandemie gilt jetzt wieder die Normalität. Die im Grundgesetz festgeschriebene Regelung ist einzuhalten.
SPD-Vorsitzende Esken
Michael Kappeler / dpa
Mit dem Karlsruher Vernichtungsurteil gegen den Klima- und Transformationsfonds ist die Debatte über Sinn und Unsinn dieses Instruments nun aber wieder voll entbrannt. Monika Schnitzer, die Vorsitzende der sogenannten Wirtschaftsweisen, einer Beraterrunde der Bundesregierung, sprach sich jetzt für ein Aussetzen der Schuldenbremse aus. Die Grünen wären ohnehin dafür, auch in der SPD werden die Anti-Schuldenbremser lauter, SPD-Chefin Saskia Esken wirbt schon lange für das erneute Feststellen einer Ausnahmesituation.
In der Bundesregierung gab es vor allem zwei mächtige Gegner der Idee, die strenge Schuldenregel etwas langfristiger aufzuweichen: Finanzminister Christian Lindner und Kanzler Olaf Scholz. Die spannende Frage nun ist: Halten sie ihren Widerstand durch?
Heute ist Afrika zu Gast in Berlin. Kanzler Scholz empfängt Staats- und Regierungschefs sowie Minister elf afrikanischer Staaten, die als besonders reformfreudig gelten. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wird da sein. Die Idee der »Compact with Afrika«-Konferenz reicht bis ins Jahr 2017 zurück, damals hatte Deutschland die G20-Präsidentschaft inne (wir erinnern uns an einen G20-Gipfel in Hamburg, der ein wenig aus dem Ruder lief).
Kanzler Scholz in Ghana (im Oktober)
Michael Kappeler / dpa
Es ist zwar eine politische Konferenz, tatsächlich aber geht es vor allem darum, privatwirtschaftliche Investments in den beteiligten Ländern anzukurbeln. Deshalb sind unter den 750 Teilnehmerinnen und Teilnehmern auch viele Verantwortliche aus der Wirtschaft. Deutschland hat, was die ökonomischen Beziehungen zu Afrika anbelangt, tatsächlich Nachholbedarf: Das Investitionsengagement ehemaliger Kolonialmächte wie Frankreich oder Großbritannien ist im Vergleich viel intensiver. Und Länder wie China haben schon vor vielen Jahren erkannt, dass Afrika ihnen helfen kann, die eigene geopolitische Bedeutung auszubauen. Sie haben heftig in dem Kontinent investiert und sich auch wichtige Rohstoffe erschlossen.
Deutschland versucht gerade, sich aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit von China zu lösen und sich den Ländern des sogenannten Globalen Südens zuzuwenden. Auch so ist zu erklären, warum der Bundeskanzler seit seinem Amtsantritt vor zwei Jahren schon fünf Mal Afrika bereist hat. Das Kabinett kommt insgesamt auf 48 Reisen. Afrika ist auch für die Energie-Transformation ein wichtiger Partner, etwa bei der Produktion von grünem Wasserstoff. Und beim Thema Migration bemüht sich die Bundesregierung um Abkommen mit afrikanischen Staaten, um Rückführungen abgelehnter Asylbewerber zu erleichtern.
Man darf davon ausgehen, dass anders als beim jüngsten Besuch eines Staatsgasts – der Stippvisite des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan am Freitagabend – heute ausschließlich freundliche Worte ausgetauscht werden. Wer kann schon etwas gegen vertiefte Beziehungen zu Afrika haben?
Der Westen muss jetzt ernst machen: Der Kampf gegen Russland wird noch lange dauern, die europäische Unterstützung der Ukraine ist wichtiger denn je. Sie kostet den Westen viel Geld. Die Alternative aber wäre noch teurer. (S+)
… ist Claus Weselsky, Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL).
Um nicht missverstanden zu werden: Auch ich rege mich über den Mann und seine Unverfrorenheit auf. Auch ich verstehe nicht, warum man kurz vor dem Beginn vereinbarter Verhandlungen streiken muss. Auch mir ist schleierhaft, wie man in Zeiten von Fachkräftemangel auf eine Verkürzung der Arbeitszeit (bei vollem Lohnausgleich, versteht sich) drängen kann.
Gewerkschaftsführer Weselsky (hier in Schwerin)
Christian Charisius / dpa
Zugleich imponiert mir dieser Mann, der die Klaviatur der Provokationen im Arbeitskampf bestens beherrscht und mit seiner vergleichsweise kleinen Lokführergewerkschaft die Republik über Wochen in Atem hält. Wie jetzt gerade wieder: In einer Urabstimmung sollen die rund 10.000 GDL-Mitglieder entscheiden, ob es nach dem eintägigen Warnstreik unbefristete Arbeitsniederlegungen geben soll. Wann das Ergebnis vorliegt, kann derzeit noch niemand sagen.
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Ich wünsche Ihnen einen gut gelaunten Start in den Tag – und in die Woche!
Ihr Martin Knobbe, Leiter des SPIEGEL-Hauptstadtbüros
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