Sprengstofffund in Berlin – weshalb trug ein Mann 530 Gramm hochexplosives TATP mit sich herum?
Krieg in der Ukraine – wie ist Russlands Vormarsch an der Front im Osten aufzuhalten?
Kampf gegen Machtmissbrauch – was haben sieben Jahre #MeToo wirklich gebracht?
1. Der Sprengstofffund in Berlin wirft Fragen auf
In einem großartigen Lied der deutschen Band Tocotronic heißt es: »Was du auch machst, mach es nicht selbst«. Heute hat die Fahndung nach einem Mann, der gestern Nachmittag eine Tasche mit selbst gefertigtem und hochexplosivem Sprengstoff im Berliner S-Bahnhof Neukölln zurückgelassen hat, viele Menschen in Deutschland beschäftigt.
S-Bahnhof Neukölln
Sean Gallup / Getty Images
Der Sprengstoff heißt Triacetontriperoxid, abgekürzt TATP, und ist offenbar sowohl bei Geldautomatensprengern als auch bei Terroristen beliebt. Die einen wie die anderen »haben immer wieder versucht, selbst TATP herzustellen, weil man relativ leicht an die Grundstoffe kommt«, sagt mein Kollege Wolf Wiedmann-Schmidt über den in Berlin gefundenen Sprengstoff.
Ich wusste nicht, dass die Zutaten zur Herstellung eines gefährlichen Sprengstoffs »relativ leicht« zu kriegen sind und finde es beunruhigend. Der Mann, der mit TATP in einem Beutel in Berlin unterwegs war, war heute Nachmittag noch auf der Flucht. Bundespolizisten hatten den Mann am Mittwochnachmittag am S-Bahnhof Neukölln kontrollieren wollen, er flüchtete und ließ den Beutel zurück, in dem sich nach Polizeiangaben 530 Gramm des Sprengstoffs befanden.
Was ist über die Hintergründe bekannt? »Bisher ist unklar, was dahintersteckt«, sagt mein Kollege Wolf. »Es könnte ein Geldautomatensprenger sein, die haben in der Vergangenheit gern mal TATP verwendet.« Aber auch Terroristen griffen immer wieder zu dem Stoff. So haben sich die Selbstmordattentäter am 13. November 2015 am Stade de France in Paris mit TATP in die Luft gesprengt. So oder so sei es besorgniserregend, dass jemand mit einem Beutel mit einem halben Kilo TATP am helllichten Tag durch Berlin läuft, so mein Kollege. »Der Sprengstoff hätte auch versehentlich hochgehen können, denn der Stoff gilt als sehr empfindlich. Wenn man sich die Fotos von der kontrollierten Sprengung aus dem Park in Neukölln ansieht, ahnt man die verheerende Wirkung.«
2. Die Verteidigung der Ukraine bröckelt – und Wolodymyr Selenskyj bittet abermals um Waffen
Im Krieg in der Ukraine rücken Putins Truppen an der Front im Osten des Landes auf die Industriestadt Pokrowsk vor. Pokrowsk hatte vor dem Krieg etwa 50.000 Einwohner und liegt im Gebiet Donezk. Der Feind stehe nur noch knapp sieben Kilometer entfernt, sagte der Leiter der Stadtverwaltung heute.
Brände entlang einer Straße im Bezirk Pokrowsk infolge russischen Artilleriebeschusses
Ukrinform / dpa
Zurzeit harrten noch etwa 12.000 Menschen in Pokrowsk aus, darunter Kinder, obwohl die Infrastruktur schon zu etwa 80 Prozent zerstört sei.
Es läuft derzeit nicht gut für die ukrainischen Verteidiger. Im Süden des Gebietes Donezk haben sie in den vergangenen Tagen und Wochen mehrere Städte räumen müssen. Ein Generalmajor der ukrainischen Truppen sprach sogar von einem »Zusammenbruch« der Front.
»Im südlichen Donbass bröckelt die Verteidigung der Ukrainer«, sagt mein Kollege Oliver Imhof. »Bei Kurachowe könnten sie von den Russen eingekesselt werden. Gelingt den Russen das, dürften sie das strategisch wichtige Pokrowsk danach von mehreren Seiten angreifen.«
Die Ukraine wehrt seit mehr als zweieinhalb Jahren eine groß angelegte russische Invasion ab, die das Land unter Moskauer Kontrolle bringen soll. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat heute bestätigt, dass er die USA um Marschflugkörper vom Typ Tomahawk zur künftigen Abschreckung Russlands gebeten habe. So stehe es im geheimen Anhang seines »Siegesplans«, den er jüngst in Washington präsentiert hatte, sagte er. Zum Plan gehört eine Aufrüstung der Ukraine, um Russland von Aggressionen abzuschrecken.
Zahlreiche bekannte und mächtige Männer, darunter der Rockstar Till Lindemann, wurden seit dem Beginn der #MeToo-Bewegung mit Vorwürfen des Machtmissbrauchs konfrontiert. Fast alle haben wie Lindemann die Vorwürfe gegen sich bestritten und tun es bis heute. Und ähnlich wie Lindemann wurden die allermeisten weder angeklagt noch bestraft, auch weil es in weiten Teilen um Verhalten ging, das nicht strafbar wäre. Meine Kollegin Juliane Löffler resümiert heute in einem Essay, was die 2017 gestartete #MeToo-Bewegung wirklich gebracht hat. (S+)
Rapper Combs 2017: Kritische Masse
Chris Pizzello / AP / picture alliance
»Dass ein Verhalten nicht strafbar ist, heißt noch lange nicht, dass es gesellschaftlich akzeptabel ist«, schreibt Juliane, »auch darum geht es bei #MeToo«. Doch was nützen die Debatten, die aufwendigen Recherchen, die langwierigen Ermittlungen, wenn am Ende die Beschuldigten weiterhin in Machtpositionen bleiben und zugleich immer wieder neue Fälle bekannt werden? »Wer Vorwürfe gegen Männer erhebt, vor allem mächtige Männer des öffentlichen Lebens, muss damit rechnen, sich dem entfesselten Hass der Massen auszusetzen und in polarisierten Debatten zerrieben zu werden«, so meine Kollegin. »Ebenso wie diejenigen, denen Fehlverhalten vorgeworfen wird.«
In den USA, wo #MeToo seinen Ursprung hat, weiten sich derzeit die Vorwürfe gegen den Rapper Sean Combs aus, auch, weil Unterstützerinnen, Anwälte und die Staatsanwaltschaft die Vorwürfe strategisch zusammentragen. »Wenn eine kritische Masse erreicht ist, steigt die Chance, dass mutmaßlich Betroffene Gehör finden, dass ihnen geglaubt wird – und am Ende gerichtsfeste Belege stehen bleiben. Das ist eine Lehre der vergangenen Jahre«, schreibt Juliane, von der zum Thema gerade das SPIEGEL-Buch »Missbrauch, Macht und Medien: Was #MeToo in Deutschland verändert hat« bei DVA/Penguin Random House erschienen ist. Sie sieht viele »kleine Fortschritte« und findet: »Es sieht so aus, als wäre #MeToo der Auftakt einer sehr viel größeren Entwicklung.«
BSW-Spitze stellt Bedingungen für Regierungsbildung in Thüringen: Die Ansage an den Thüringer BSW ist eindeutig: Entweder der Landesverband konkretisiert bei den Verhandlungen mit CDU und SPD in »Fragen von Krieg und Frieden« seine Position. Oder er soll in die Opposition gehen.
Premier unkritisch befragt – TV-Sender soll 100.000 Pfund zahlen: Der britische Sender GB News soll eine Strafe zahlen – wegen eines zu unkritischen Talks mit Rishi Sunak. Der Geschäftsführer des konservativen Mediums spricht von einem Angriff auf Meinungsfreiheit und Journalismus.
Mysteriöse Spott-Statuen von Trump in US-Städten geben Rätsel auf: In zwei US-Metropolen platzierten Unbekannte Statuen von Donald Trump neben bestehenden Kunstwerken, die Frauenkörper darstellen – offenbar als Protest. Die Reaktion war rasch und drastisch.
Aldi Süd muss Sonderangebote anders kennzeichnen: Den Preis kurzfristig erhöhen, um dann mit einem großzügigen Nachlass zu werben? In einem Verfahren gegen Aldi Süd hat das Landgericht Düsseldorf das nun untersagt und beruft sich auf eine neue Regel des EuGH.
Meine Lieblingsgeschichte heute: Ein Sportler als Held der Nation
Des Kaisers neueste Doku wird von meinem Kollegen Peter Ahrens besprochen. Über den am 7. Januar dieses Jahres gestorbenen Fußballer Franz Beckenbauer sei schon viel erzählt worden, »eine Bilderflut, in der man ertrinken könnte, ungezählte Reportagen, Dokumentationen, Würdigungen, Filme«, findet mein Kollege. Trotzdem schaffe es die Dokumentation »Der letzte Kaiser« von Torsten Körner, die nun bei MagentaTV und ab Januar bei Arte läuft, in gut 150 Minuten, einen »frischen Blick« auf den Sportler zu werfen.
Franz Beckenbauer als Kosmopolit in New York
Sven Simon / IMAGO
Wer etwas Kluges über den Fußball erfahren wolle, sollte Menschen außerhalb des Fußballs fragen, schreibt Peter. »Menschen, die den Fußball mögen, aber nicht aus der Branche sind und ihn gerade deswegen sehen können, wie er ist.« Matthias Brandt, der Schauspieler, sage zu Beginn des Films über Beckenbauer den Satz: »Mir fällt niemand ein, dessen Entwicklung so synchron zu der Entwicklung dieses Landes verlief wie die dieses Mannes.« Wenn man wissen wolle, wie sich die Bundesrepublik Deutschland verändert habe, »muss man eigentlich nur Jahr für Jahr ein Bild von Franz Beckenbauer angucken«.
So abhängig ist Jeff Bezos von der US-Regierung: »Washington Post«-Eigentümer Bezos hat allen Grund, es sich nicht noch mehr mit Trump zu verscherzen. Sein Herzensprojekt ist das Raumfahrtunternehmen Blue Origin, und das hängt auch von Aufträgen der US-Regierung ab. (S+)
»Einen Teil des Risikos kann man selbst beeinflussen«: Eine Coronainfektion kann auch im Gehirn Schäden anrichten. Charité-Forscherin Helena Radbruch erklärt, wie das Virus unser Nervensystem beeinflusst und was das für die Entstehung von Long Covid bedeuten könnte. (S+)
Was heute weniger wichtig ist
Mats Hummels und Partnerin Nicola Cavanis beim Ballon d’Or
Mohammed Badra / EPA
Balltreter mit Benimm: Der Fußballspieler Mats Hummels, 35, hat bei der Kür des aktuell besten Spielers im Rahmen der Pariser Ballon-d’Or-Gala zusammen mit einem Sportlerkollegen den 29. und letzten Platz belegt und die Platzierung mit Sportsgeist genommen. »Letzter beim Ballon d’Or ist der schönste letzte Platz der Welt«, sagte er. Dass der spanische Rekordmeister Real Madrid die Gala boykottierte, weil kein Real-Spieler, sondern der Konkurrent Rodri von Manchester City gewann, findet Hummels unschön: Sich über angebliche Respektlosigkeit zu empören, wenn man bei einer Wahl nicht gewonnen hat, habe »schon leicht trumpsche Züge, und es ist halt leider den anderen gegenüber respektlos«.
Mini-Hohlspiegel
Aus dem »Alstertal Magazin«: »Hamburg gilt im bundesweiten Vergleich als junge Stadt. Rund 81 Prozent der Bevölkerung sind aktuell 65 Jahre und älter.«
Blitzhochzeit in Las Vegas: Mark Eydelshteyn und Mikey Madison in »Anora«
Universal Pictures
Könnten Sie sich den frisch in den Kinos angelaufenen Film »Anora« ansehen. Er erzählt von derin einem New Yorker Stripclub arbeitenden Tänzerin Ani. Als der 21-jährige Oligarchensohn Ivan in dem Klub auftaucht, wird Ani ihm zugeteilt, weil sie selbst russische Wurzeln hat. Ivan ist so begeistert von Ani, dass er sie bald für eine ganze Woche bucht. Ani lässt ihn bis zur Spontanhochzeit in Vegas einiges hinblättern. Diese Romantic Comedy endet, als Ivans Eltern von der Hochzeit ihres Zöglings Wind bekommen und ihre New Yorker Schergen auf das junge Paar ansetzen, um die Ehe annullieren zu lassen. Mein Kollege Till Kadritzke lobt den in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichneten Film (S+) unter anderem für das Cineastenwissen des Regisseurs Sean Baker: »Er spielt auf der Klaviatur der Screwball-Komödien des klassischen Hollywoods ebenso wie mit Motiven aus Scorsese-Gangsterfilmen.«
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