Heute geht es um die Frage, ob und wann die Ampel bricht, um deutsche Verantwortung in Griechenland und einen besonderen Blick auf Donald Trump.
Der richtige Gast zur richtigen Zeit
Christian Lindner, so weit darf man gehen, hat grundsätzlich wenig Probleme damit, im Mittelpunkt zu stehen. Mit Lindner und der öffentlichen Aufmerksamkeit verhält es sich ungefähr so wie mit einem Fisch und dem Wasser: Lange hält er es nicht ohne aus. Insofern dürfte die Situation in Berlin-Mitte dem FDP-Vorsitzenden gerade ganz gut gefallen.
Die sieht ungefähr so aus: Alles starrt gebannt auf Lindner.
Finanzminister Lindner
Oliver Berg / dpa
Es geht, natürlich, mal wieder um die Koalition, die Ampel und, auf die Gefahr hin, Sie damit allmählich zu langweilen, um die Frage, wie lang sie noch hält. Ob sie sich bis zum regulären Wahltermin im September nächsten Jahres durchzankt, oder ob demnächst doch vorzeitig Schluss ist, also früher gewählt wird. Und ja, zu dieser Koalition gehören noch zwei weitere Partner, gehören auch SPD und Grüne, Olaf Scholz und Robert Habeck. Die beiden allerdings haben zuletzt eher wenig Willen erkennen lassen, das Bündnis vorzeitig zu beenden. Solche Signale kamen und kommen vor allem aus der FDP. Aus Lindners Partei.
Insofern könnte mein Kollege Markus Feldenkirchen heute keinen passenderen Gast bei sich im »Spitzengespräch« haben als: genau, Christian Lindner. Vielleicht weiß man ja nach diesem Talk schon etwas genauer, ob und wie lang es mit der Koalition noch weitergeht. Das Ergebnis können Sie heute Abend hier auf der Seite sehen. Ich bin wirklich gespannt.
Der Bundespräsident besucht heute den Ort Kandanos auf Kreta. Deutsche Soldaten haben dort am 3. Juni 1941 alle männlichen Einwohner ermordet, die nicht rechtzeitig fliehen konnten, und das Dorf dem Erdboden gleichgemacht. Frank-Walter Steinmeier kommt heute nach Kandanos, um an diese monströse deutsche Schuld zu erinnern, um zu zeigen: Sie ist nicht vergessen. Kandanos ist einer von vielen griechischen Orten, an denen Deutsche während des Zweiten Weltkriegs gewütet haben.
Der Besuch hat auch einen aktuellen politischen Hintergrund. Um die Versöhnung voranzubringen und die Erinnerungskultur zu stärken, finanziert die Bundesrepublik einen deutsch-griechischen Zukunftsfonds – doch der soll für 2025 drastisch gekürzt werden: um gleich zwei Drittel auf 300.000 Euro. Grund sind die Sparvorgaben von Finanzminister Lindner, sie betreffen das Auswärtige Amt besonders stark.
Steinmeier mit dem griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis
Louisa Gouliamaki / REUTERS
Meine Kollegen Florian Gathmann und Christoph Schult haben dazu recherchiert und zitieren unter anderem aus dem internen Protestschreiben des deutschen Botschafters Andreas Kindl. Vor Steinmeiers Besuch in Griechenland schrieb Kindl nach Berlin, eine Kürzung auf 300.000 Euro sei »nicht nur kontraintuitiv mit Blick auf die Ambition unserer Erinnerungsarbeit, sondern stellt auch eine erhebliche Belastung für den Besuch selbst dar«. Ähnlich äußerte sich der deutsche Botschafter in Rom – der deutsch-italienische Zukunftsfonds soll ebenfalls auf 300.000 Euro gekürzt werden.
Und nun? Offenbar besteht noch Hoffnung. Der Haushaltspolitiker Otto Fricke begleitet Steinmeier auf seiner Reise, er hat meinen Kollegen gesagt: »Der deutsch-griechische Zukunftsfonds ist eine gute Möglichkeit, auch nach so vielen Jahren, sich mit den Schattenseiten unserer Vergangenheit auseinanderzusetzen, aber gleichzeitig dabei stets in die Zukunft zu blicken.« Klingt, als könnte sich da noch was bewegen.
Fricke ist übrigens in der FDP. Er scheint manche Dinge anders zu sehen als sein Parteichef.
Ich persönlich habe schon mit vielen politischen Prognosen daneben gelegen. Ich dachte, die Briten würden gegen den Brexit stimmen, ich hielt es für ausgeschlossen, dass Olaf Scholz die Bundestagswahl gewinnen könnte, und Donald Trumps Wahlsieg 2016 habe ich, Schande über mich, auch nicht wirklich kommen sehen. Mein Glück: Ich habe all diese Fehleinschätzungen nie in einem Buch festgehalten, geschweige denn zum Titel eines Buchs gemacht.
Francis Fukuyama ist es da anders ergangen. Der US-Politologe veröffentlichte 1992 einen Bestseller, in dem er nach dem Ende des Kalten Kriegs den Siegeszug der Demokratie prophezeite – Titel: »Das Ende der Geschichte«. Es kam dann doch etwas anders, deshalb musste sich Fukuyama in den Jahrzehnten danach immer und immer wieder für seine Fehleinschätzung rechtfertigen, den Spott von Kollegen und sonstigen Besserwissern ertragen. Ich gebe zu, auch ich habe schon Witze über sein Buch gemacht – die allerdings vor allem meinem Neid entsprungen sein dürften, weil ich im Gegensatz zu Fukuyama noch nie einen Bestseller geschrieben habe, nicht mal ansatzweise.
Kandidat Trump: Zeichen von Dekadenz
Angela Weiss / AFP
Warum ich das erzähle? Weil mein Kollege René Pfister den Professor schon vor einiger Zeit in dessen Büro an der Stanford University besucht und darüber geschrieben hat. Der Text ist sehr erhellend, die Lektüre lohnt sich, bevor die USA nächste Woche wieder wählen, weil das Stück unter anderem der Frage nachgeht, warum Donald Trump politisch solchen Erfolg hat.
»Es ist eine besondere Pointe, dass Fukuyama, dem so häufig ein naiver Optimismus unterstellt wurde, in seinen späten Jahren so düster auf die Weltlage blickt«, schreibt René. »Er teile die Analyse der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel, sagt er beim Gespräch in seinem Büro. Der Aufstieg von Autokraten wie Trump werde durch eine Generation ermöglicht, die den Schrecken des Zweiten Weltkriegs vergessen habe. Und die nun Politiker wählt, die die Axt an jene Institutionen legen, die nach 1945 den Frieden in Europa und der Welt gesichert haben: Nato, die Europäische Union und ihre Vorläufer sowie die Vereinten Nationen.« So gesehen sei Trumps Aufstieg »auch ein Zeichen von Dekadenz«.
Ich habe viel gelernt durch diesen Text, unter anderem, dass Fukuyama sich wohl gar nicht so sehr geirrt hat, wie ich immer dachte. Und dass er offenbar Optimist geblieben ist. »Ich glaube, es gibt gute Gründe, dass die liberale Demokratie langfristig den Sieg davontragen wird«, sagt er.
Und kurzfristig? Nächste Woche, wenn in den USA die Stimmen ausgezählt sind, wissen wir mehr.
... könnten heute potenziell alle Mitbürgerinnen und Mitbürger sein, bei denen es klingelt – zumindest wenn sie nicht entsprechend vorbereitet sind. Heute ist Halloween, Sie wissen schon, gruselige Kostüme und Kinder, die von Tür zu Tür ziehen, um Süßkram einzusammeln.
Fest im europäischen Kalender verankert: Grusel an Halloween
Mindaugas Kulbis / AP / dpa
Man könnte an dieser Stelle nun lang und breit über importierte Feste und Bräuche lamentieren, die doch hierzulande gar keine Tradition hätten, aber was bringt das schon. Alte Traditionen sterben aus, neue entstehen, und zumindest hier in Berlin ist Halloween mittlerweile fest etabliert – oder auch, für alle Kulturpessimisten: Das kriegt man erst mal nicht mehr weg. Also vielleicht doch besser noch ein paar Süßigkeiten einkaufen. Meine Kinder jedenfalls freuen sich schon.
Spanien sucht nach Vermissten – und nach Schuldigen: Nach den sturzflutartigen Regenfällen in Spanien versuchen Rettungskräfte weiter, eingeschlossene Menschen zu befreien. Die Regierung hat Staatstrauer angeordnet. Und es beginnt die Debatte, ob Warnsysteme versagt haben.
Die 45-Minuten-Gala von Musiala – FC Bayern zerlegt Mainz und steht im Achtelfinale: In Mainz spielte Jamal Musiala nur eine Halbzeit, dennoch gelangen dem Bayern-Spielmacher drei Tore. Im Achtelfinale fehlen wird Union Berlin – der Bundesligist scheiterte an Drittligist Bielefeld.
Libanesischer Ministerpräsident hofft auf Waffenruhe »innerhalb von Tagen«: Die libanesische Regierung schürt Hoffnungen auf einen Waffenstillstand zwischen Hisbollah und Israel. Ein Textentwurf stellt Bedingungen an beide Parteien – und sieht auch Deutschland an der Umsetzung beteiligt.
Diesen Text möchte ich Ihnen heute besonders empfehlen:
Erkenntnistheoretiker Markus Gabriel
Marcus Simaitis / DER SPIEGEL
»Wir brauchen Philosophen in den Chefetagen«: Gutes Wirtschaften sollte nicht nur auf Gewinnmaximierung ausgerichtet sein. Es soll außerdem niemandem Leid antun oder Umweltschäden verursachen. Der Erkenntnistheoretiker Markus Gabriel erklärt im SPIEGEL-Gespräch, wie ethischer Kapitalismus die Demokratie retten kann – und was vegane Teewurst damit zu tun hat. (S+)
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