In der Rue de Lancry, im 10. Pariser Arrondissement, nicht weit von den beiden großen Bahnhöfen, beißt an jenem Abend ein weiß-brauner Bullterrier einen kleinen Hund halbtot. Wir sitzen mit einem Whiskey Sour vor dem Meeresfrüchtelokal Sur Mer, und dem Gebell zufolge, dem Gekreische der Besitzerin, dem Ziehen an Leinen, dem Blut am Asphalt: Lang lebt der Kleine nicht mehr.
»Magst du Paris immer noch?«, fragt meine Begleitung und zieht an ihrer schmalen Vogue-Zigarette. »Nein«, sage ich, »ich liebe es nur noch.« Nur die Hälfte des Lebens passiert wirklich, der Rest ist Sehnsucht. Und die Hälfte meiner Sehnsucht ist Paris. Weil hier alles gleichzeitig stattfindet. Weil die Stadt stärker ist als der kleine Hund. So heißt es schon in ihrem alten Wahlspruch: Fluctuat nec mergitur. »Sie schwankt, aber sie geht nicht unter.«
Ein Polizeimotorrad mit Blaulicht rast vorbei. Eine Wohnung genau hier, das wäre doch was. Einmal wurde mir hier ein Führerschein angeboten. Große Auswahl, gar nicht teuer. Bei meiner Begleitung erfrage ich eine Zigarette. »Seit wann rauchst du?«, fragt sie. »Seit heute«, sage ich. Wir schmunzeln. Der Mann in der Wohnung schreit wieder. Gut, dass mein Französisch so schlecht ist. Die Leute schauen. Ich schäme mich, weil ich so glücklich bin. Der Kellner kommt: »You want something?« Mir fällt auf, dass ich seit Minuten nur das Wasser der schmelzenden Eiswürfel nippe. »Can I have another Whiskey Sour?« Er nickt. »This is Paris, you can have everything you want«. Von Gabriel Proedl
Dies ist ein Auszug aus dem Artikel »Wir lieben Frankreich einfach, weil ... « von den ZEIT-Autorinnen Rebecca Casati, Annabelle Hirsch, u.a. Wenn Sie erfahren möchten, warum die französische Atlantikküste eigentlich so euphorisierend ist und wo die wirklich coolen Frauen leben, lesen Sie hier unbedingt weiter.