| | |  | | 14. Juli 2024 | | Prantls Blick | | Die politische Wochenschau | | | | | | |  | | Prof. Dr. Heribert Prantl | | | | | | | | | | | | vielleicht ist Ihnen diese Zeitungszeile noch nie aufgefallen, obwohl sie vom Montag bis Freitag in Großbuchstaben auf der Seite 1 steht. Gleich unterhalb des Schriftzugs „Süddeutsche Zeitung“ findet man den Untertitel „Neueste Nachrichten aus Politik, Kultur, Wirtschaft und Sport“. Jahrzehntelang stand da „Münchner Neueste Nachrichten“. Dieser Untertitel erinnert an eine Zeitung, die 1848 in München gegründet worden ist, sie war die Vorgängerin der SZ: Im Kaiserreich waren die „Münchner Neuesten Nachrichten“, die MNN, eine der führenden liberalen Zeitungen in Deutschland; mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs wurde das Blatt deutlich konservativer; 1919 war es dann für kurze Zeit das Organ des Revolutionären Zentralrats der Münchner Räterepublik; dann färbte es sich katholisch-konservativ, war aber sehr hitlerkritisch; von der Verlagsleitung wurde die Zeitung dann auf NSDAP-Kurs gedrängt, was aber zunächst an der Redaktion scheiterte.
Die braune publizistische Umwandlung hatte einen großen Gegner: Es war ein Mann namens Fritz Gerlich. Er war erst Chefredakteur der Münchner Neuesten Nachrichten, dann wurde er Chefredakteur der katholischen Zeitung „Der gerade Weg“, die laut und eindringlichst vor Hitler warnte. Gerlich tat das unter anderem mit dem prophetisch-düsteren Satz: „Nationalsozialismus heißt Lüge, Hass, Brudermord und grenzenlose Not.“ Gerlich wurde von Nationalsozialisten sofort nach deren Machtübernahme inhaftiert, gefoltert und nach 16-monatiger Haft in der Nacht zum 1. Juli 1934 ermordet.
Fritz Gerlich hatte versucht, den Widerstand gegen Hitler zu mobilisieren, er hatte Widerstandskraft wecken wollen; es gelang ihm nicht. Es gab nicht viele seinesgleichen. Und die, die es noch gab, standen in anderen politischen Lagern. Das war die Tragik des Widerstands, auch des publizistischen Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Der Widerstand fand nicht oder erst viel zu spät zueinander, oft erst in den Mordlagern der Nazis. Es waren Menschen aus allen Schichten des Volkes, die Widerstand gegen Hitler leisteten – Arbeiter, Adlige, Geistliche, Offiziere, Christen und Kommunisten.
Seit 1952 gibt es in Deutschland am 20. Juli Gedenkveranstaltungen für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Das Datum steht für das gescheiterte Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 – also vor genau achtzig Jahren. Der Bombenanschlag des Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Hitler und damit die gesamte „Operation Walküre“ scheiterte. Sie war der späte militärische Versuch, die Naziherrschaft zu stürzen. Die Widerstandskämpfer vom 20. Juli waren überwiegend keine Demokraten, nicht wenige von ihnen hatten zuvor dem Hitler-Regime gedient und waren selbst in unterschiedlichem Maß schuldig geworden. Sie hatten aber, mit sich ringend, den Weg zum Widerstand gefunden. Mit bemerkenswerter Unerschrockenheit traten sie dem Henker entgegen. Unter den mehr als zweihundert später wegen der Erhebung Hingerichteten waren Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben, 19 Generäle, 26 Oberste und sieben Diplomaten.
Der Widerstand gegen Hitler: Neben den meist aristokratischen Namen vom 20. Juli stehen die Namen der kommunistischen und sozialdemokratischen Widerständler, von denen so viele in den Konzentrationslagern umkamen; die Namen der Roten Kapelle zum Beispiel; dazu die Namen der Weißen Rose und die des Nationalkomitees Freies Deutschland, dazu der Name des einsamen Attentäters Georg Elser, der schon 1939 im Münchner Bürgerbräukeller eine Bombe gezündet hatte; dazu die Namen der christlichen Widerständler, des Kardinals Graf von Galen etwa, des Jesuiten Alfred Delp und des evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer. Gemeinsam war ihnen die Ablehnung von Totalitarismus, Rassismus und Menschenverachtung. Ihnen allen ist das Grundgesetz zu widmen. Dafür steht das Gedenken am 20. Juli.
| | | |  | |  | | Prantls Blick | | | Die Tragik des Widerstands – und wozu er mahnt | | | | | | | | Ich wünsche uns zum 80. Jahrestag ein großes Innehalten.
Ihr
| | | | | Heribert Prantl | | Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung | | | | | | | | | | | | | | Wir würden rohes Gras mampfen ohne die Fremden | | Kennen Sie Cloots, kennen Sie Anacharsis Cloots? Er war der, der schrieb: „Jedes Individuum ist ein Königreich.“ Er war, er ist der radikalste aller Menschenrechtler; der Universalste aller Universalisten; der Prophet der Vereinten Nationen. In Frankreich wird er als Philosoph der Aufklärung gern zitiert und studiert; in seiner Heimat Deutschland ist er – von der Kirche verteufelt, von der Reaktion verhöhnt – verfemt geblieben. Vielleicht kann dieses Buch, es ist ein schön aufgemachtes Büchlein, daran etwas ändern.
Cloots wurde als Johann Baptist Hermann Maria Baron de Cloots 1755 auf Schloss Gnadenthal in Donsbrüggen bei Kleve geboren; 1794 wurde er in Paris guillotiniert. Er war ein Schriftsteller, Politiker und Revolutionär der Französischen Revolution, führte den Beinamen „Redner des Menschengeschlechtes“ und war ein prominenter Verfechter der universellen Gültigkeit der Menschenrechte. Er hat es nicht überlebt. Noch aus dem Gefängnis warb er für eine friedliche und freie Weltrepublik für jeden – unabhängig von Nation, Religion, Herkunft, Klasse und Hautfarbe: „Die Weltrepublik steht auf der Tagesordnung.“ Sie steht da heute immer noch und ist so weit weg, dass man sie kaum noch entziffern kann. Deshalb lohnt es sich, Cloots Reden aus der Französischen Revolution zu lesen, die in diesem kleinen Band versammelt sind – „herausgegeben, übersetzt und befürwortet von Tobias Roth“.
Staunen wir über Cloots pointiert-kluge Sätze, mit denen man noch heute die AfD in die Flucht schlagen kann: „Erinnern wir uns daran, dass eine jede Nation ihre Künste, ihre Wissenschaften, ihre Erkenntnisse, ihre Philosophie den Ausländern und Fremden verdankt. Jede Nation kann von sich sagen: Wir sind nichts durch uns selbst, wir würden rohes Gras mampfen ohne die Fremden.“ Das Büchlein ist nicht einfach nur ein schönes Mitbringsel, es ist ein packendes Lesebuch.
Anacharsis Cloots und Tobias Roth: Reden aus der Revolution 1790-1793. Das Buch ist 2024 im Verlag „Das kulturelle Gedächtnis“ erschienen, es hat 150 Seiten und kostet 15 Euro. | | | | | | | |  | | | | Und Zehn ist keins. Das ist das Hexeneinmaleins | | Wenn es um das deutsche Wahlrecht geht, fällt mir stets Goethes Hexeneinmaleins ein: „Du musst verstehn / Aus Eins mach Zehn / Und Zwei lass gehn / Und Drei mach gleich / So bist Du reich …“ Wenn man die Zahlenmystik nicht versteht, ergeht es einem wie Mephisto, der dazu sagt: „Mich dünkt, die Alte spricht im Fieber“. Im „Thema der Woche“ erklären Wolfgang Janisch, Stefan Kornelius, Claudia Henzler und Oliver Schnuck, was es mit dem Fieber auf sich hat. Sie vergleichen das deutsche, das britische und das französische Wahlrecht, also das Verhältnis- und das Mehrheitswahlrecht und seine Variationen, erläutern die Vor- und die Nachteile. Das führt zu spannenden Erkenntnissen.
| | | | | | | | | | Meinung | | Kommentare, Kolumnen, Gastbeiträge und Leserdiskussionen im Überblick | | | | | | | |  | |  | |  | Entdecken Sie unsere Apps: |  | |  | | Folgen Sie uns hier: |  | |  | | | | | Impressum: Süddeutsche Zeitung GmbH, Hultschiner Straße 8, 81677 München Tel.: +49 89 2183-0, Fax: +49 89 2183 9777 Registergericht: AG München HRB 73315 Ust-Ident-Nr.: DE 811158310 Geschäftsführer: Dr. Christian Wegner (Vors.), Johannes Hauner, Dr. Karl Ulrich Copyright © Süddeutsche Zeitung GmbH / Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH. Hinweise zum Copyright Wenn Sie den „Prantls Blick“-Newsletter nicht mehr erhalten möchten, | Datenschutz | Kontakt |  | | | |