Die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE
Fünf vor acht
Die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE

Für Trump und Putin zählt das "Territoriometer"

Der künftige US-Präsident will Grönland den USA einverleiben. Folgt Trump in seinem Expansionsstreben der Logik Putins, droht ein neues Zeitalter des Imperialismus.

Eine Kolumne von Michael Thumann

"Erst Grönland – und morgen ganz Nordamerika!" Mit diesem Motto geht Donald Trump in seine zweite Amtszeit. Auf seiner Privatresidenz in Florida sprach er Mitte der Woche von wahrlich großen Projekten, der Einverleibung Grönlands, der Kontrolle über den Panamakanal und dem möglichen Anschluss Kanadas als 51. Staat der Vereinigten Staaten. In Trumps geopolitischen Träumen entstehen die Umrisse einer imperialen Präsidentschaft, die die Welt so noch nicht gesehen hat.

Viele Amerikaner haben Trump gewählt, weil er versprach, Schluss zu machen mit den "endlosen Kriegen", weil er Russlands Krieg gegen die Ukraine in "24 Stunden beenden" will. Das wird nicht gelingen. Erstens, weil Russlands Herrscher Putin es nicht will. Und zweitens, weil Trump offenbar selbst gerade auf Expansionskurs geht. Der kommende US-Präsident belegt ein weiteres Mal, dass Nationalisten ihre Ansprüche nicht auf ihre Nation beschränken. Was als Aggression gegen die Feinde im Innern beginnt, wird sich als Aggression nach außen fortsetzen. Das zeigt die Geschichte des Nationalismus seit seiner Feuertaufe in der Französischen Revolution.

Die Größe des Territoriums als Maßstab nationalen Erfolgs

Die Welt wird also nicht friedlicher, sondern unsicherer. Die Größe des Territoriums als Maßstab nationalen Erfolgs kehrt zurück. Wirtschaft und Militär werden zu den Mitteln seiner unaufhörlichen Erweiterung.

Es muss nicht so kommen, dass Trump gleich das US-Militär losschickt, um seine geopolitischen Vorstellungen umzusetzen. Er hat eine Vielzahl von Mitteln zur Auswahl. Dabei lohnt sich ein Blick auf den bisherigen Protagonisten territorialer Expansion im 21. Jahrhundert: Wladimir, den Eroberer. Russlands Herrscher hat auch nicht gleich die Armee mobilisiert. In den 2000er-Jahren erpresste er die Ukraine und die baltischen Staaten mit Gaslieferungen. Er drohte der Ukraine wiederholt mit Embargos und winkte bei Wohlverhalten mit Krediten. Das war der Wirtschaftskrieg. Dann ging Putin 2014 zum Tarnkappenkrieg mit Separatisten-Mummenschanz über, um die Krim und Donezk zu besetzen. Und 2022 überfiel er die Ukraine mit der gesammelten militärischen Macht Russlands. Expansion kann dauern. Trump fing in seiner ersten Amtszeit 2017 mit Wirtschaftskriegen an. Er wird diese Praxis sicher fortsetzen – aber dann?

Lange Zeit blickten wir im Westen auf Putins Kriege und dachten mit Angela Merkel, der Mann lebe im 19. Jahrhundert. Die Eroberung von immer mehr Quadratkilometern des kohleminenverseuchten Donbass erschien uns so schrecklich archaisch. Und unsinnig. Seit den späten Jahren des Kalten Kriegs waren viele Staaten zu dem Schluss gekommen, dass viel Territorium oft lästig sein kann. Viel Landmasse, das bedeutet ja häufig unterentwickelte Städte oder überholte Industrien, entlegene Gegenden und eine unzufriedene Bevölkerung. Manche Länder kämpften mit Separatismus oder Aufständen. Am erfolgreichsten waren kompakte Staaten, die ihr vergleichsweise kleines Territorium perfekt entwickelten: Luxemburg, die Schweiz, Norwegen, Finnland, die Niederlande.

Für Herrscher wie Putin und Trump ist das nicht der Maßstab des Erfolgs. Für sie zählt das "Territoriometer", die Quadratkilometer auf der Landkarte verbunden mit der Frage: "Wer hat am meisten?" Die Antwort: Wladimir Putin. Und trotzdem hat er den Wettlauf der Eroberungen und Annexionen 2014 neu eröffnet. Denn er kommt nicht darüber hinweg, dass selbst der von ihm als Weichei angesehene Vorvorgänger Michail Gorbatschow in der Sowjetunion noch viel mehr Quadratkilometer beherrschte.

Es gibt auch "Einflusssphären"!

Wenn jetzt Trump auf dieselbe Logik einschwenkt, dann bricht ein neues globales Zeitalter des Imperialismus an. Vielleicht ähnlich, aber nicht genauso wie im 19. Jahrhundert, als die europäischen Großmächte im Wettlauf um immer mehr Territorium in der ganzen Welt standen und fremde Kontinente kolonisierten. Heute dürfte Europa eher Objekt des neuen Imperialismus sein, während die USA, China und Russland sich an die Aufteilung des Globus machen. Merke: Nicht jedes Land muss militärisch erobert werden. Es gibt ja noch "Einflusssphären"!

Wer meint, Putin und Trump wären dabei Verbündete, könnte sich irren. Ein Blick auf die Karte Grönlands zeigt das. Trump scheint es dort ja auch um Bodenschätze zu gehen. Und wenn das Eis der Arktis schmilzt, dann könnte es noch mehr davon geben. Das lädt ein zum Kampf um Rohstoffe, Quadratkilometer und geopolitische Brückenköpfe! Bei der Kontrolle der Arktis sieht sich Russland bisher als größtes Anrainerland ganz vorn. Wenn Trump mit der Kontrolle Grönlands (von Kanada ganz zu schweigen) nachziehen würde, wäre der Konflikt zwischen den expandierenden Großmächten vorprogrammiert. Siehe das Beispiel des hochmodernen 19. Jahrhunderts.

Verfolgen Sie die Diskussion zu diesem Text!

Wir sind Fünf vor acht

Fünf vor acht ist die Morgenkolumne von ZEIT ONLINE. An jedem Werktag kommentieren abwechselnd unter anderem Michael Thumann, Petra Pinzler und Matthias Naß sowie Heike Buchter, Andrea Böhm, Lenz Jacobsen und Mark Schieritz.

Hier finden Sie alle Texte, die in der Serie Fünf vor acht erscheinen. Empfehlen Sie diesen Newsletter gern Freunden und Bekannten weiter. Hier lässt er sich abonnieren.