Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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2. Februar 2025
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
so einen wie Merz gab es noch nie. Noch kein Kanzlerkandidat in der Geschichte der Bundesrepublik hat sich so benommen wie der Sauerländer. Noch keiner hat schon im Wahlkampf zu den ganz außerordentlichen künftigen Mitteln, zur Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers gegriffen; noch keiner hat schon als Kandidat protzerisch angekündigt, was er mit ihr anordnen wird: Gleich am ersten Tag seiner Kanzlerschaft will Merz per Richtlinienkompetenz umfassende Grenzkontrollen befehlen. Merz geriert sich als Wahlkämpfer fast so überheblich, wie es der neue US-Präsident vor seinem Amtsantritt getan hat. Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte bezeichnet ihn daher als den „sauerländischen Trump“.

Seine eigenen Grandiositätsvorstellungen sind Merz wichtiger als die Sensibilitäten für die parlamentarische Demokratie. Es zeigt sich schon im Wahlkampf, dass Merz keine Regierungserfahrung hat. Er benimmt sich drei Wochen vor der Wahl so, als sei so etwas wie eine Koalitionsbildung nicht nötig, als brauche er keine Regierungspartner. Er geht nicht auf seine künftigen eventuellen Partner zu, sondern lässt sich von der AfD akklamieren – ohne sich dafür zu genieren. Er bricht mit all seinen Versprechungen, Gemeinsamkeit und Miteinander mit der AfD zu vermeiden. Er stößt die demokratischen Partner, die er im Fall seines Wahlsiegs zur Koalitionsbildung brauchen wird, auf diese Weise vor den Kopf.

Friedrich Merz ist vor drei Jahren Vorsitzender der CDU erst im dritten Anlauf geworden. Erst zog die Partei, es war 2018, Annegret Kramp-Karrenbauer an der Spitze vor. Dann wählte die CDU 2021, Armin Laschet. Dann erst kam, es war 2022, Friedrich Merz. Er war, ganz im Wortsinn, dritte Wahl. Nicht nur das hat Spuren hinterlassen. Dazu kommt, dass Angela Merkel ihn einst zu seiner Zeit als kurzzeitigen Fraktionschef im Bundestag abgesägt und abgelöst hat. Merz hat dann für eine lange Reihe von Jahren sein Feld außerhalb der Politik suchen müssen. Gregor Gysi, der viel Erfahrung mit dem Auf und Nieder in der Politik hat, vermutet, dass sich Merz von Merkel gedemütigt fühlt – und dass diese Demütigungen sein politisches Handeln bestimmen. Souverän ist das nicht.

Der alte Merz, der neue Merz

Merz hat die Zustimmung der AfD nicht unbedingt gesucht, aber gefunden - und das billigend in Kauf genommen oder sich jedenfalls damit abgefunden. Es sei ihm „völlig gleichgültig“, wer seiner Anti-Flüchtlingsinitiative zustimmt; richtige Ideen würden nicht dadurch falsch, dass die „Falschen“ sie unterstützten. „Ich gucke nicht rechts und nicht links. Ich gucke in diesen Fragen nur geradeaus.“ Das ist ein Wahlspruch, den er vom einstigen Kolonialoffizier Friedrich Hans Dominik abgekupfert hat: „Nicht rechts geschaut, nicht links geschaut, geradeaus, auf Gott vertrau und durch!“ Für die Zukunft der Politik im Bundestag ist so ein Motto fatal – und es widerspricht allen früheren Ankündigungen von Merz.

Noch am 13. November 2024 hatte er im Bundestag erklärt, „dass weder bei der Bestimmung der Tagesordnung noch bei den Abstimmungen in der Sache hier im Haus auch nur ein einziges Mal eine zufällige oder tatsächlich herbeigeführte Mehrheit mit denen da von der AfD zustande“ kommen solle und dürfe. Beim Anti-Flüchtlingsantrag von Merz in der vergangenen Woche kam nun erstmals eine parlamentarische Mehrheit durch die Unterstützung der AfD zustande. Das sieht aus wie eine erste Station auf dem Weg zu einer Zusammenarbeit – und das widerspricht allen Ansagen von Merz.

Friedrich Merz macht da weiter, wo er im Jahr 2000 als damaliger Unions-Fraktionschef begonnen hat; er macht auch so weiter, wie er damals aufgehört hat. Angefangen hat er damals mit der Forderung, das Asylgrundrecht abzuschaffen; er wollte es ablösen durch eine „institutionelle Garantie“. Und aufgehört hat er damals mit den Reden von den Tabus, die es nicht geben dürfe, und von der „deutschen Leitkultur“, die Migranten in Deutschland zu beachten hätten. Wenn man die heutigen Äußerungen von Friedrich Merz zum Migrationsrecht analysiert, sollte man ein Interview lesen, das er seinerzeit, im März 2000, in seiner ersten Zeit als Unions-Fraktionschef gegeben hat. Er forderte damals dazu auf, sich in der Debatte ums Asylrecht von den Erfahrungen des Nationalsozialismus zu lösen: „Unsere Generation will sich nicht mehr derart in Haftung für unsere Vergangenheit nehmen lassen.“ So stand es damals in der Hamburger Zeitschrift Die Woche. Auch da werden ihm heute die AfDler zustimmen.

Die Lehren der vergangenen Jahrzehnte lauten: Anti-Ausländer- und Anti-Flüchtlings-Wahlkämpfe rechnen sich nicht für die demokratischen Parteien, die sie anzetteln. Es gibt da nur eine Ausnahme: Die Landtagswahlen in Hessen im Februar 1999, die von der CDU des Roland Koch mit der Agitation gegen die Doppelstaatsbürgerschaft gewonnen wurde. Darauf mag sich Merz damals wie heute beziehen. Es besteht da aber für ihn die Gefahr, dass er verkocht. Womöglich beginnt dieser Prozess schon am 23. Februar.
SZPlus Prantls Blick
Was dem CDU-Kanzlerkandidaten fehlt
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Ich wünsche uns eine Wahlkampfwoche, in der die Wählerinnen und Wähler merken, dass es nicht nur ein Thema, sondern eine ganze Palette von Themen gibt.

Ihr
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
SZPlus Friedrich Merz
Der mit sich selbst kämpft
„Ich bin erst der zehnte Vorsitzende der CDU Deutschlands und ich habe nicht die Absicht, der letzte zu sein. Wenn die Brandmauer bröckelt, ist die Existenz der CDU im Kern gefährdet.“ Das ist ein eindeutiger Satz von Friedrich Merz. Und sein Satz mit der Natter ist noch eindeutiger: „Wer sich eine Natter an den Hals holt, den beißt sie halt irgendwann tot.“ Merzens Agieren im Bundestag mag zu diesen klaren Aussagen nicht so recht passen. Merz will eine neue Asylpolitik erzwingen, egal wer zustimmt – auch wenn es die AfD ist. Die Kollegen Roman Deininger, Robert Roßmann sowie die Kollegin Henrike Roßbach schreiben ein sehr kundiges und ziseliertes Porträt von „einem, der manchmal mit sich selbst kämpft.“
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Migration
Verhungert, verdurstet, ertrunken
Das Elend ist namenlos. Seit 2014 sind im Mittelmeer über 25 000 Menschen ums Leben gekommen bei dem Versuch, Europa auf der zentralen Mittelmeerroute zu erreichen; so schätzt die Internationale Organisation für Migration. Es gibt eine Aktion, die „Beim Namen nennen“ heißt. Diese Aktion macht sich die Mühe, die Namen der ertrunkenen Flüchtlinge zu recherchieren und/oder die wenigen Spuren ihres Schicksals ehrend festzuhalten. In einem Buch ist die Liste dieser belegten Fälle veröffentlicht. Die Europäische Union (und noch massiver und radikaler CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz) machen sich solche Mühe nicht. Sie mühen sich stattdessen, auch das Recht sterben zu lassen, auf das sich die Ertrunkenen hatten berufen wollen.

Es gibt in der EU starke Tendenzen zu einer Trumpisierung, Salvinisierung und Orbánisierung der Asylpolitik. Die EU-Anstrengungen haben das Ziel, dem Asylrecht die Rechtsqualität und dem Flüchtling den Schutz in Europa zu nehmen. Fast alles, was in Brüssel unter der Überschrift „Reform“ der Flüchtlingspolitik betrieben wird, dient nicht der Verbesserung, sondern der Verschlechterung des gegenwärtigen Zustands, der schlimm genug ist. Er zwingt die Menschen, die Schutz suchen, dazu, ihr Leben zu riskieren. Dieses Buch setzt ihnen ein Denkmal.

Kristina Milz und Anja Tuckermann (Hrsg.), Todesursache: Flucht. Eine unvollständige Liste. Verlag Hirnkost Berlin, 3. Auflage 2023, 858 Seiten. Das Buch kostet 20 Euro.
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