Liebe Leser,
was für ein Anblick: Am Samstag tanzten unzählige kleine Lichtpunkte auf der Willy-Brandt-Straße, getragen von einem Meer von Menschen. Mindestens 65.000 Hamburgerinnen und Hamburger demonstrierten gegen den Rechtsruck. Als es dunkel wurde, sangen alle ein Lied (im Kanon!) und schalteten die Handy-Lichter an.
Am Freitagnachmittag hatten sich bereits 20.000 Menschen rund ums Rathaus aufgestellt, kurz darauf waren 5.000 zu einer weiteren Demo vor der Europa Passage zusammengekommen.
Und mittendrin war Hilde.
Hilde Vollymayr, 69, ist eine der »Omas gegen Rechts«. In Hamburg gibt es mittlerweile sieben Ortsgruppen, Hilde zählt zur Gruppe Hamburg-West. Dahinter steht kein Verein, keine Partei. Die Omas gegen Rechts wurden 2017 von einer Österreicherin ins Leben gerufen. Die Bewegung schwappte schnell nach Deutschland über, bundesweit engagieren sich darin heute schätzungsweise 30.000 Frauen. Bei den Omas handelt es sich also nicht einfach um ein paar süße ältere Damen – sie bilden aktuell die größte Frauenbewegung im Land.
Hilde macht seit knapp fünf Jahren mit. Sie demonstriert, steht an Infoständen oder besucht Schulklassen, um mit Jugendlichen zu diskutieren. Am Samstag trug sie eine pinke Mütze und ein breites Lachen im Gesicht. »Das Tolle ist, dass bei uns Frauen mit ganz unterschiedlichen Lebenskonzepten zusammenkommen«, sagte Hilde. »Manche waren früher schon politisch aktiv, andere gehen jetzt in der Rente zum ersten Mal auf eine Demo.« Man müsse, um dabei zu sein, keine biologische Oma sein – Hilde selbst hat drei Enkel –, auch Opas dürften gerne mitlaufen. »Aber wir Frauen geben schon den Ton an!«
Was sie bewog, sich den Omas anzuschließen: »Unsere Elterngeneration wollte damals kaum über die Geschichte reden, da wurde viel verschwiegen«, sagte Hilde. »Das hat mich aufgeregt, und ich schwor mir, selbst nicht zu schweigen, wenn ich die Demokratie bedroht sehe.«
Die Omas haben mehrere Websites, einen Instagram-Kanal, TikTok, sogar einen Podcast. Auf allen Kanälen kriegen sie auch Hass ab. Sie versuchen das mit Humor zu nehmen. »Wir haben einen ›Arsch der Woche‹ getöpfert, die Skulptur widmen wir jede Woche dem schlimmsten Hasskommentar«, erzählte Hilde.
Nun geht Hilde seit Jahren auf die Straße, immer wieder. Wie schafft sie es, sich aufzuraffen? »Ich schöpfe aus dem Miteinander neue Motivation. Mit einer Demo allein bewirkt man wenig, klar. Es ist die Summe der Proteste. Wenn man etwas erreichen will, braucht man einen langen Atem. Aber: Ich bin ja nicht allein.«
Ein Eindruck, den am Wochenende sicher viele teilten. In diesem Sinne: Be like Hilde.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!
Ihre Annika Lasarzik
PS: Ein Bild von den Omas gegen Rechts finden Sie heute in der Rubrik »Meine Stadt«.